Daniela Pfeifer hat mich auf einen Artikel aufmerksam gemacht, der seit einiger Zeit die Runde in diversen Facebook Gruppen macht und für Verunsicherung und Verwirrung sorgt.
Es handelt sich dabei um eine Case Study (Fallstudie), aus dem Jahr 2015. Die Studie wurde im Journal of Medical Case Reports publiziert[1].
Der Titel des Artikels lautet:
„Ketoacidosis associated with low-carbohydrate diet in a non-diabetic lactating woman: a case report.“ (Ketoazidose im Zusammenhang mit einer kohlenhydratreduzierten Diät bei einer nicht-diabetischen stillenden Frau: eine Fallbeschreibung)
Ich habe diesen Artikel auf der Evolution Radio Show als Video publiziert:
Warum ist das aufregend?
Wer einer ketogenen bzw. einer LCHF Ernährung folgt, wird unweigerlich mit dem Begriff der Ketoazidose konfrontiert werden. Solltest Du noch einmal die Grundlagen zur Ketose auffrischen wollen, dann lies doch diesen Artikel (Ketonkörper, wie sie entstehen und was sie im Körper tun).
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Was ist Ketoazidose?
Die Ketoazidose ist ein gefährlicher Stoffwechselzustand, verursacht durch einen langanhaltenden und absoluten Insulinmangel. Durch den Insulinmangel können die Zellen keine Glucose aus dem Blut aufnehmen. Das Gehirn nimmt dies als akuten Energiemangel wahr, worauf hin Adrenalin, Noradrenalin und andere Insulin Antagonisten freigesetzte werden. Dies führt zu erhöhter Freisetzung von Fett aus dem Fettgewebe und zu ungebremster Bildung von Ketonkörpern.
Insulin selbst wirkt hemmend auf die Ketonkörperproduktion. Das unkontrollierte Ansteigen der Ketonkörper im Serum wird durch eine negative Rückkopplungsschleife (negative Feedback Loop) verhindert. Die Ketonkörper beta-Hydroxybutyrat und Acetoacetat stimulieren ihrerseits dosisabhängig die Produktion von Insulin.
Ursachen für die Entstehung einer Ketoazidose
Diabetische Ketoazidose
Die häufigste Ursache für eine Ketoazidose ist ein entgleister Diabetes. Hiervon sind vor allem Typ-1 Diabetiker und insulinpflichtige Typ-2 Diabetiker betroffen.
Der relative oder absolute Insulinmangel mit erhöhten gegenregulatorischen Hormonen (vor allem Glukagon, aber auch Katecholamine, Wachstumshormon und Cortisol) stimulieren die Lipolyse, und in weiterer Folge die Herstellung von Acetyl-CoA aus Fettsäure. Die große Menge an erzeugtem Acetyl-CoA übersteigt die Kapazität des Krebs-Zyklus, und der Überschuss wird auf die Ketonkörperproduktion überführt.
Zweitens führt der Mangel an Insulin zu einer verminderten Glukoseausnutzung und einer Verringerung der Oxalacetatproduktion (Acetyl-CoA kondensiert mit Oxalacetat, um in den Krebs-Zyklus einzutreten). Die reduzierte Menge an Oxalacetat verringert weiter die Fähigkeiten des Krebs-Zyklus, um Acetyl-CoA aufzunehmen. Acetyl-CoA wird dann vom Eintritt in den Krebs-Zyklus abgeleitet und tritt stattdessen in den ketogenen Weg ein[2].
Alkoholische Ketoazidose
Eine weitere Möglichkeit ist die alkoholische Ketoazidose. Alkohol hemmt die Gluconeogenese und die Oxidation freier Fettsäuren in der Leber. Alkoholmissbrauch ist zusätzlich oft mit Mangelernährung, entleerten Glykogenspeichern und anderen metabolischen Stressoren verbunden[3].
Salicylatvergiftung
Salicylat- oder auch Aspirinvergiftung kann sowohl akut als auch chronisch auftreten. Die Azidose entsteht durch mehrere Mechanismen. Einerseits durch das uncoupling der mitochondrialen oxidativen Phosphorylierung, was zu einem Wechsel auf anaerobe Glycolyse, einem Anstieg von Lactat und schließlich zu einer Lactatazidose führt. Auf der anderen Seite erhöhen Salicylate den Fettabbau. Zu guter Letzt trägt die Salicylsäure selbst zu einer Azidose bei.
Angeborene Stoffwechselstörungen
Es gibt einige seltene angeborene Stoffwechselerkrankungen, die die Entstehung einer Ketoazidose begünstigen. Solche schweren Stoffwechselstörungen zeigen sich meistens schon in früher Kindheit durch Episoden wiederkehrender Ketoazidose.
Hintergrund der Fallstudie
Nun zur eigentlichen Fallbeschreibung. Vorgestellt wird der Fall einer 32-jährigen Frau. Sie stillt ihren 10 Monate alten Sohn. 10 Tage, nachdem sie mit einer LCHF Diät gestartet hat, wird sie mit Übelkeit und Erbrechen in das Spital eingeliefert.
Daten bei Einlieferung
Wert | Messung |
Blutzucker | 70 mg/dl |
Ketonkörper im Serum | 7.1 mmol/l |
Behandlung
Intramuskuläre Vitamin B Injektion, Glucoseinfusion sowie Insulin (4 Units in 24 h). Die Frau wurde nach drei Tagen entlassen.
Eine Diabetes mellitus Erkrankung wurde durch entsprechende Labortest ausgeschlossen (…normal blood glucose and C-peptide, glycated hemoglobin (HbA1c) 37mmol/mol and negative autoantibodies: islet antigen number 2 (IA2) <15 kE/L, reference <15 and glutamic acid decarboxylase (GAD) <5 kE/L, reference <5. No drugs could be detected in her blood and her kidney function was normal (S-creatinine 67μmol/L, reference 45 to 90…).
Kein Hinweis auf Drogenmissbrauch, kein Hinweis auf eine gestörte Nierenfunktion. Die Diagnose lautet: Ketoazidose durch Hungern.
[…] The lack of other possible explanations supported the primary diagnosis: ketoacidosis due to starvation. […]
Was lernen wir aus diesem Fall?
Zu aller erst wollten wir festhalten, dass ein Ketonwert von 7.1 mmol/l normalerweise noch nicht als Ketoazidose eingestuft wird. In der diabetischen Azidose sprechen wir von Werten ≥15 mmol/l. Nur um sich die Verhältnisse bewusst zu machen.
Nichts destotrotz muss man anerkennen, dass es in gesunden Menschen, unter bestimmten Voraussetzungen, zu einem sehr hohen Anstieg an Ketonkörpern kommen kann, und dies mit Unwohlsein, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen einhergeht. Fälle von Ketoazidose, ohne Diabetes, sind sehr selten und dies ist der erste Fall, in dessen Zusammenhang LCHF erwähnt wird. In wieweit ein ursächlicher Zusammenhang mit der Ernährungsform selber besteht, unterliegt reiner Spekulation, denn in allen anderen berichteten Fällen scheinen außergewöhnliche physiologische Stressoren den gemeinsamen Nenner zu bilden. Extremes Fasten, Stillen und Fasten, Infektionen und in einem Fall eine Magenverkleinerung, dürften den Push-Faktor in die Ketoazidose dargestellt haben[4] [5] [6] [7] [8] [9].
Laktations-Ketose oder Ketoazidose der Milchkuh
Die Laktations-Ketose ist gut beschrieben in der Veterinärliteratur[10]. Milchkühe produzieren gigantische Milchmengen. Es wird angenommen, dass Laktations-Ketose auftritt, weil das Tier während der Laktation oftmals nicht in der Lage ist, eine ausreichende Energieaufnahme und Gluconeogenese zu gewährleisten, um den erhöhten Substratbedarf der Laktation gerecht zu werden. Die Milchproduktion während der Laktation ist extrem energieintensiv, was zu einer hohen Glukoseausnutzung führt. Wiederkäuer sind auf hepatische Glukoneogenese als Glukosequelle für die Milchproduktion angewiesen. Wenn eine ausreichende Energieaufnahme und Gluconeogenese nicht aufrechterhalten werden kann, ergibt sich ein hypoglykämischer, hypoinsulinämischer Zustand. Genau wie beim Menschen stimuliert dies den Abbau von Fettgewebe, die Erhöhung der Substratverfügbarkeit und die Ketonbildung[11].
„Längeres Fasten in Kombination mit verschiedenen Formen von Stress bringt stillende Frauen in Gefahr für Hunger Ketoazidose und sollte daher vermieden werden.“
Laktations-Ketose beim Menschen
Laktations-Ketose beim Menschen ist extrem selten, aber nicht unmöglich. Die Entstehung einer solchen Ketoazidose hat ihren Ursprung in einer energetischen Unterversorgung. In allen anderen Fällen, außer dem oben beschriebenen, war der Auslöser ein massives kalorisches Defizit und nicht die Umsetzung einer LCHF Ernährung[12].
Fasten und drastische Kalorienrestriktion kann während der Stillzeit tatsächlich gefährlich sein und zu einer Laktations-Ketoazidose führen[13]. Die Autoren einer anderen Fallstudie kommen zu folgendem Schluss: „Während unter normalen Umständen das Fasten höchstens nur milde Azidose verursacht, kann es während der Laktation gefährlich sein. Längeres Fasten in Kombination mit verschiedenen Formen von Stress bringt stillende Frauen in Gefahr für Hunger-Ketoazidose und sollte daher vermieden werden.“
Mehr zur Energiegewinnung aus Ketonkörpern
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Fazit
Es gibt keine Hinweise darauf, dass LCHF oder ketogene Ernährung bei gesunden Menschen zu einer lebensbedrohlichen Ketoazidose führen kann. Jedoch können gesunde Menschen, unter besonderen Bedingungen, eine Ketoazidose erleiden. Solche Bedingungen wären extremes Fasten, Infektionen, Laktation, Operationen – bzw. eine Kombination dieser Bedingungen. Stillende Frauen haben einen sehr hohen Energiebedarf und aus diesem Grund ist das durchführen jeder kalorienrestriktiver Diät absolut zu vermeiden.
Referenzen
[1]von Geijer, Louise, and Magnus Ekelund. „Ketoacidosis associated with low-carbohydrate diet in a non-diabetic lactating woman: a case report.“ Journal of medical case reports 9.1 (2015): 224.
[2] Wallace TM, Matthews DR. Recent advances in the monitoring and management of diabetic ketoacidosis. QJM. 2004 Dec;97(12):773–80.
[3] Cartwright MM, Hajja W, Al-Khatib S, et al. Toxigenic and metabolic causes of ketosis and ketoacidotic syndromes. Crit Care Clin. 2012 Oct;28(4):601–31.
[4] Szulewski A, Howes D, Ross Morton A. A severe case of iatrogenic lactation ketoacidosis. BMJ Case Reports. 2012. doi:10.1136/bcr.12.2011.5409
[5] Chernow B, Finton C, Rainey TG, O’Brian J. ‘Bovine ketosis’ in a nondiabetic postpartum woman. Diabetes Care. 1982;5(1):47–9. doi: 10.2337/diacare.5.1.47
[6] Sandhu HS, Michelis MF, DeVita MV. A case of bovine ketoacidosis in a lactating woman. NDT Plus. 2009;[2:27]8–9
[7] Heffner AC, Johnson DP. A case of lactation “bovine” ketoacidosis. J Emerg Med. 2008;[35:38]. doi: 10.1016/j.jemermed.2007.04.013
[8] Altus P, Hickman JW. Severe spontaneous ‘bovine’ ketoacidosis in a lactating woman. J Indiana State Med Assoc. 1983;[76:39]2–3.
[9] Monnier D, Goulenok T, Allary J, Zarrouk V, Fantin B. Starvation ketosis in a breastfeeding woman. Rev Med Interne. 2015; Epub Apr 22.
[10] Holtenius P, Holtenius K. New aspects of ketone bodies in energy metabolism of dairy cows: a review. Zentralbl Veterinarmed A. 1996 Dec;43(10):579–87.
[11] Oetzel GR. Herd-level ketosis diagnosis and risk factors. Presentation at the 40th annual conference of the American Association of Bovine Practitioners; 2007 Sep 19; Vancouver, British Columbia, Canada. Madison, WI: University of Wisconsin, School of Veterinary Medicine; 2007.
[12] Gleeson, Sarah, Eoin Mulroy, and David E. Clarke. „Lactation ketoacidosis: an unusual entity and a review of the literature.“ The Permanente Journal 20.2 (2016): 71.
[13] Hudak, Sarah K., et al. „Ketoacidosis in a non-diabetic woman who was fasting during lactation.“ Nutrition journal 14.1 (2015): 117.