Meine ganz persönliche Reise

Ich habe in den letzten Wochen mehrere Artikel zum Thema „Kalorienzählen“ geschrieben und warum ich der Meinung bin, dass dies keine nachhaltige Strategie ist und es auch um mehr als nur Kalorien geht. Die Reaktion auf diese Artikel (hier und hier) war teilweise sehr heftig und ich verstehe nun, dass dies wohl ein sehr polarisierendes Thema ist. Mir ist klar, dass viele sehr viel Zeit und Mühe (und teilweise auch große Entbehrung) in die Kalorien-Idee gesteckt haben und darum besonders „passioniert“ zur Verteidigung des Kalorien-Konzepts schreiten. Ich kann das wirklich verstehen,  und zwar aus einem ganz einfachen Grund – ich war genauso.

All die Argumente, die ich von engagierten Lesern bekommen habe, die hätten von mir sein können. Vor 4 Jahren war ich genau da, und war wirklich überzeugt, dass das Zählen von Kalorien  und die negative Energiebilanz der Schlüssel zum Traumkörper sind. Bis mich mein Körper eines besseren belehrt hat.

Aus diesem Grund dachte ich, dass es an der Zeit ist, Euch meine ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Ich möchte über meine ganz Reise, meine Abstürzte, meine Probleme und meine Lösungen schreiben. Diesen Artikel zu schreiben und vor allem gewisse Fotos zu veröffentlichen, ist ein sehr persönliche und intime Sache.

Jeder Mensch ist einzigartig und jeder hat seine ganz persönliche Geschichte, die ihn dahin gebracht hat wo er momentan ist. Darum sollte man ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen – sondern nach seinem Inhalt.

Ich möchte damit zeigen, dass ich nicht nur Studien zitiere und mir ein Weltbild zurechtbastle. Auch ich habe meine Erfahrungen gemacht und es waren diese Erfahrungen, die mich dahin gebracht haben, wo ich heute stehe.

Also, dann legen wir mal los…..

Meine Kindheit

Ich bin ein Kind der 1980er und hatte das Glück in eher ländlicher Umgebung mit viel Freiheit aufzuwachsen. Wir konnten zu Fuß in den Kindergarten und die Volksschule gehen und am Nachmittag machten wir die Wälder und Maisfelder (Österreichisch: Kukurutz) der Umgebung unsicher.  Ich war  immer ein schlankes, normales Kind. Kein Problem mit Übergewicht, aktiv und, dank meiner Mutter, schon von klein an sportlich aktiv. Sport war schon sehr früh ein Teil meines Lebens, egal ob Kindergymnastik, Judo oder Schifahren.

Julia_als_Kind

Pubertät

Das änderte sich alles ziemlich schlagartig mit dem Einsetzen der Pubertät. Die Macht der Hormone schlägt unbarmherzig zu. Aus dem schlanken, schlaksigen Kind wird eine junge Frau – mit all den Rundungen, die dazu gehören. Ich höre auf Sport zu treiben. Der Körper verändert sich, ohne dass man etwas dagegen tun kann, und auf einmal beginnt man sich mit seinem Aussehen zu beschäftigen. Diäten werden von diesem Tag an ein ständiges Thema in meinem Leben.

Julia_als_Teene

Die Zwanziger…

Schwankend im Gewicht, von extrem-dünn bis etwas-mollig, schaffe ich dann ein dauerhaft niedriges Körpergewicht durch Kalorienrestriktion zu halten. In dieser Zeit habe ich zwischen 49 und 52 kg bei einer Körpergröße von 1,65 m. Schaue ich mir heute Bilder von Damals an, so sehe ich einen vorgebeugten Rücken und dünne Ärmchen – zu der Zeit konnte ich das nicht sehen, denn dünn ist ja gut.

Gegen Ende meiner 20er wird es schon zunehmen schwerer das Gewicht nur über die Restriktion zu halten und ich habe begonnen zuzunehmen. Zu der Zeit (wieder-)entdeckte ich  den Sport. Was macht man natürlich um abzunehmen?
Cardio 🙂 Ich beginne zu laufen. Ich schaffe es im Laufe der Zeit meine Kondition zu verbessern, allerdings tut sich sonst nicht wirklich etwas. Kalorienrestriktion und die obsessive Beschäftigung mit Essen begleiten mich auch in mein dreißigstes Lebensjahr.

Julia mit Giles

Die folgenden Jahre sind geprägt von dramatischen Einschnitten in meinem Leben. Sie hinterlassen körperliche als auch seelische Spuren. Schwankungen von 6 kg auf oder ab sind keine Seltenheit.

In dieser Zeit begann ich auch an kaum erträgliche Rückenschmerzen und Knieschmerzen zu leiden. Zeitweise war es so schlimm, dass ich mich nicht einmal im Bett aufsetzten konnte. Alle Physiotherapien und Chiropraktiker nutzten nichts. Zusätzlich hatte ich  Schlafstörungen und Depressionen. Das ganze Programm… Dazu kam noch das Gefühl zu versagen, denn trotz all meiner Bemühungen konnte ich einfach mein Körpergewicht nicht mehr auf die gleiche Weise beeinflussen, wie das noch in meinen 20ern möglich war.

Die vollkommene Zerstörung

Immer noch vertrauend auf die gängigen Ernährungsempfehlungen und überzeugt davon, dass ICH wohl etwas FALSCH machen würde, entdeckte ich die Welt des Krafttrainings, der Bodybuilding-Diäten und der Makronährstoffe.

Überzeugt, jede Kalorie zählen zu müssen um an mein Ziel zu gelangen, mache ich die Küchenwaage zu meinem ständigen Begleiter. 2 Jahre lang erfasse ich jeden Krümel, der in meinen Mund wandert. Ich trainiere 6-mal pro Woche – 3-mal pro Woche mache ich Krafttraining und 3-mal pro Woche je 1,5 Stunden Muay Thai (Thaiboxen). Ein ganzes Jahr mache ich sogar Muay Thai und Krav Maga (Selbstverteidigung) gleichzeitig. Ich esse low-fat, high-protein 1500 kcal pro Tag. So, wie einem das gepredigt wird.

Das Ergebnis

Ich nehme genau 12 Wochen lang ziemlich gut ab. Ich bin auf 16% Körperfett unten, meine Bauchmuskeln sind sichtbar. Und? Wo ist das Problem, werdet ihr sagen? Hat doch wunderbar funktioniert. Tja, wenn die Geschichte hier enden würde, vielleicht. Aber das tut sie nicht. Nach diesen 12 Wochen – beginne ich Körperfett zuzulegen. Ich reduziere die Kalorien weiter – am Schluss nehme ich nur noch 1000 kcal zu mir. Doch egal wie wenig ich esse und wie viel ich trainiere, das Konzept ging einfach nicht mehr auf.

So habe ich Depression, Kalorienzählen und Essstörungen besiegt
In ein-einhalb Jahren habe ich mit klassischem Low Fat, immer weiterer Kalorienreduktion und immer mehr Sport ZUGENOMMEN (hauptsächlich Körperfett, wie man am Bauch sieht)

Zu der Zunahme in Körperfett, kamen noch andere Dinge. Ich war dauernd krank, konnte nicht schlafen, war extrem erschöpft sowohl körperlich als auch psychisch. Ich hatte alle Symptome eine klassischen Burn-out Syndroms. Mein Metabolismus hatte sich extrem heruntergefahren, mein Immunsystem war am Boden und meine Darmflora dermaßen geschädigt, dass sich ein „leaky-gut“ Syndrom (durchlässige Darmschleimhaut) entwickelt hat.

Der Phönix aus der Asche

Was macht man in so einem Fall? Man geht erstmal zum Arzt. Man erzählt seine Geschichte, wenn man überhaupt dazu kommt, in den 5 Minuten, die der Arzt für einen Zeit hat. Der fragt einen, ob man bereit wäre Antidepressiva zu nehmen. Ich war nicht bereit.

Aber ich war bereit meine Gesundheit selber in die Hand zu nehmen und ich begann zu graben. Ausgerüstet mit guten Englischkenntnissen und der Fähigkeit wissenschaftliche Literatur zu finden und zu lesen, kam ich sehr schnell zu einer wichtigen Erkenntnis.

Die konventionellen Ernährungsratschläge sind kurz gesagt „bull-shit“. Das „low-fat“ Dogma entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und die Anthropologen wissen schon seit 20 Jahren, dass wir keine Pflanzenfresser sind und tierisches Fett nicht die Arterien verklebt.
An diesem Punkt möchte ich Gary Taubes danken, sein Buch Good Calories, Bad Calories war ein echter Augenöffner. Provokativ und mit über 600 Seiten vollgepackt mit wissenschaftlichen Referenzen. Sicher keine einfache Lektüre, aber jede Minute davon ist wertvoll.

Jetzt gab es kein Halten mehr. Gleich einem Dominoeffekt taucht plötzlich Studie über Studie auf und ein Experte nach dem anderen, die alle zum Selben Schluss kommen.
Eine Ernährung, die unseren steinzeitlichen Vorfahren nachempfunden ist, ist der einzige richtige Weg. Viel Gemüse, ausreichend tierische Fette und eine moderate Menge an tierischem Protein – dazu ordentliche Krafttraining, HIIT, ausreichend Schlaf um die Hormone und diverse Mikronährstoffmängel wieder ausgleichen. Den Darm heilen und die Darmflora ins Gleichgewicht bringen.

Heute

Eines möchte ich vor ab sagen, es war nicht so, dass ich meine Ernährung umgestellt habe und dann wie von Zauberhand all meine überflüssigen Fettpölster dahingeschmolzen wären. Auch eine LCHF Ernährung muss richtig abgestimmt sein und hier hatte ich noch einiges zu lernen. Doch es gab andere Effekt – die depressiven Verstimmungen verschwanden und es war als hätte jemand einen dunklen Vorhang von meinem Leben genommen. Das war sogar so auffällig, dass ich von meiner Familie darauf angesprochen wurde. Diese Entwicklung war natürlich nicht sofort spürbar, was aber sehr schnell spürbar war, war die Akne, die nicht mehr da war. Ich hatte auch immer sehr mit Blähungen zu tun,  ich dachte, das wäre normal, bis sie dann auf einmal nicht mehr da waren.

Wo stehe ich heute? Die angerichteten Schäden sind immer noch nicht ganz behoben, aber ich bin auf einem guten Weg. Ich kann wieder schlafen, bin nicht mehr krank, fühle mich gut und den Herausforderungen des Alltags gewachsen. Ich habe keine Rücken- oder Knieschmerzen mehr, mein Hautbild hat sich verbessert und der Darm ist auch am Heilen. Seitdem ich einen evolutionären Ansatz für Training und Ernährung in mein Leben integriert habe, hat sich vieles zum Positiven verändert. Ich trainiere weniger, esse mehr und fühle mich dabei so gut wie nie zuvor.

DEXA Julia
DEXA Scan, links: März 2014 und rechts Oktober 2015. Mein Körperfettanteil hat sich von 21,9% auf 19,3% reduziert

Resümee

Wie ist das nun mit dem Kalorienzählen? Wenn ich eine Sache gelernt habe, dann, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.  Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht aktiv die Kalorien zählen müssen um ein gesundes Körpergewicht zu erreichen, sondern, dass die Auswahl der RICHTIGEN Lebensmittel, ein Umfeld schafft, in dem der Körper gerne auf Fettreserven zugreift du die natürliche Regulation von Hunger und Sättigung funktioniert.

Nie zuvor in meinem Leben hatte ich ein derart entspanntes Verhältnis zu Essen. Ich habe mich gequält, mir Essen versagt, obwohl ich hungrig war. All das gibt es in meinem Leben nicht mehr. Ich esse bis ich satt bin und ich habe das Vertrauen in meinen Körper, dass ich essen darf, wenn ich hungrig bin.  Es hat 3 Jahre gedauert, die Schäden, die mein Körper davon getragen hat, wieder halbwegs zu korrigieren – ein paar „Narben“ werden wohl für immer bleiben.

race_1185_photo_25516299
Tough Mudder Süddeutschland 2015

Ein paar Worte zum Schluss

Ich möchte anderen Menschen helfen. Ich möchte mein Wissen weiter geben und auch andere Menschen aus dem Kalorie-Mythos und ewigem Hunger befreien. Ich möchte Ihnen das Werkzeug in die Hand geben ihre Gesundheit auf eine vollkommen neue Ebene zu bringen. Gewicht ist nur ein (kleiner) Teilaspekt. Depression, Krebs, Auto-Immunerkrankungen, Parkinson, Alzheimer, Allergien, … all diese Zivilisationskrankheiten lassen sich durch die richtige Ernährung positiv beeinflussen.

Inspirieren, motivieren, Hoffnung geben, Lebensqualität verbessern – das sind meine Ziele.

Julia mit Jimmy Moore und Jerry, dem Co-Veranstalter von HEALTHunplugged
Jerry Dhillon und Jimmy Moore zusammen mit mir bei der HEALTHunplugged Konferenz in London im November 2015
  1. Liebe Julia,

    danke für diesen berührenden und ehrlichen Beitrag. Es ist nicht immer leicht so viel Persönliches öffentlich zu machen, aber genau das braucht’s, um die Menschen zum Handeln zu animieren. Mach bitte weiter so. 😀

    Liebe Grüße
    Ivana

    1. Danke Ivana für deine lieben Worte. Das bestätigt mich darin, dass das was ich tue das Richtige ist und dass ich anderen Menschen helfen kann. Ich bin mir sicher, dass es ganz viele Leute da draußen gibt, die Ähnliches erlebt haben oder erleben und am Verzweifeln sind. So wie ich das auch war.

  2. Hallo Julia
    Hatte Gänsehaut als ich das las.. Deine Geschichte ist sooooo ähnlich wie meine… hab auch gesehen dass es mit dem Kalorienzählen immer mehr trainieren noch mehr Kalorien einzusparen und hungern etc. nicht mehr so weitergehen kann…..hab zum Schluss nur noch zugenommen und wusste nicht mehr was richtig und falsch ist – ebenfalls Darmleiden etc. wie du auch…. nun bin ich seit 2 Monaten auch nicht mehr am Kalorien zählen und höre auf meinen Körper – esse wann ich hunger habe und nur dann und höre auf wenn ich satt bin – verbiete mir nichts mehr aber achte auf gesunde Nahrungsmittel. Ich mache täglich 10 min. HIT Training. Hoffe es wird mir auch so gut gelingen wie dir und werde bald Erfolge sehen. Bei mir sind es über die Jahre nun 10 kg mehr worden 🙁
    Liebs Grüessli
    Gabi

    1. Hallo Gabi,

      ich dachte mir, dass es vielen so geht oder ging wie mir und darum wollte ich auch diesen Artikel schreiben. Hab Geduld…. Wie du siehst, hat es bei mir ein paar Jahre gedauert.
      Alles Gute
      Julia

  3. Liebe Julia, deine Geschichte ist echt berührend. Führt bei mir (sicher auch bei anderen) zu großer Nachdenklichkeit, wo Weichenstellungen in meinem Leben stattgefunden haben.
    Sehr schön, dass du dich getraut hast, soviel preiszugeben. Das schafft Vertrauen, weit über die wissenschaftlichen Studien hinaus.

  4. Hallo Julia, so ein schöner Name 🙂 ich bis nach der Pubertät teilen wir eine ähnliche Geschichte. Schlank als Kind mit viel Sport.. kaum in der Pubertät wuchsen die Rundungen und dann auch noch in Ausbildung und den ganzen Tag Leckereien ausgesetzt. Dann heiratete ich direkt mit 21 einen Amerikaner und die Kilos wuchsen. Ich hatte mich 2003 zu einem Magenbypass entschieden und auch abgenommen… aber der Körper hatte sich auch an die wenige Menge gewöhnt und ich möchte mich von meiner Müdigkeit verabschieden und von ein paar Kilos. Wenn man mit Brigitte Diät, weight watchers etc gross geworden ist, fällt es schwer nicht in Kalorien zu denken.

    1. Hallo Julia,

      ich wünsche dir viel Kraft auf deinem Weg! Gerade mit einem Magenbypass solltest du auf Nährstoffdichte achten. Versuche es mit pürierter Leber. Das ist eine echte Vitaminbombe.

      lg
      Julia

  5. viele frauen und männer haben ähnliche lebens- und besonders krankheitsgeschichten. danke, danke mädels!!! eure arbeit und unermüdlicher forschungsdrang wird noch soo vielen helfen ihre gesundheit zu verbessern und besonders ihr selbstwertgefühl wieder herzustellen. macht weiter so! ihr seid toll!

  6. Interessante Geschichte. Werde ich mir wohl mal abspeichern, weil ich einige Kandidaten kenne, denen ein wenig Umdenken auch durchaus helfen könnte.

    Liebe Grüße

  7. Hut ab! Respekt! Mir fehlen die Worte, daher einfach nur: DANKE für deine ehrlichen und berührenden Worte!

  8. Liebe Julia, danke, dass du so mutig warst und so offen deine Geschichte mit uns geteilt hast. Du bist und bleibst eine Inspiration, mach weiter so 🙂
    Alles Liebe,
    Romina

Comments are closed.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}