Schilddrüsenunterfunktion durch Low-Carb? Mythen von Fakten trennen.
Kohlenhydrate sind so etwas wie die „goldene Kuh“ der Ernährungswissenschaften. Seit den 1960er Jahren und den ersten „Dietary Guidelines“ unter Senator McGovern versucht man uns einzureden, dass 60% oder bis zu 11 Portionen Kohlenhydrate am Tag verzehrt werden müssen, um gesund zu bleiben. Währenddessen soll Fett auf 30% beschränkt – ohne Untergrenze natürlich.
Heute schaut die Welt ein wenig anders aus. Es hat sich ein Bewusstsein entwickelt, dass Zucker, verarbeitete Getreideprodukte und süße Getränke nicht so optimal für den Menschen sind. Zurück bleibt trotzdem die Angst vor „zu wenig“ Kohlenhydraten. In Foren, Blogs und den einschlägigen sozialen Netzwerken tauchen immer wieder Erfahrungsberichte von Menschen auf, die durch Low-Carb eine Schilddrüsenunterfunktion entwickelt haben (sollen). Doch was ist dran? Ist Low-Carb wirklich schlecht für die Schilddrüse?
Was macht die Schilddrüse eigentlich?
Die Schilddrüse ist ein schmetterlingsförmiges Organ, das direkt unterhalb des Kehlkopfes sitzt. Sie wird über den Hypothalamus und die Hypophyse gesteuert und reguliert Stoffwechsel, Köpertemperatur und Energiebereitstellung. Jede Zelle unseres Körpers verfügt über Rezeptoren, d.h. Andockstellen, für Schilddrüsenhormone.
Die Hormone der Schilddrüse sind Triiodthyronin (T3) und Tetraiodthyronin (T4).
Triiodthyronin (T3)
T3 ist die aktive Form des Schilddrüsenhormons. Es besitzt drei Iodatome. Liegt Triiodthyronin nicht an Eiweiße gebunden im Blut vor, so wird es als freies Triiodthyronin (fT3) bezeichnet. Optimal ist fT3 in der oberen Hälfte der Normalwerte.
Normwerte für T3:
Erwachsene: T3: 0,9-1,8 ng/ml oder 1,4-2,8 nmol/l
Erwachsene: freies T3 (fT3): 3,5-8,0 ng/l oder 5,4-12,3 pmol/l
Tetraiodthyronin (T4)
T4 ist die inaktive Form des Schilddrüsenhormons und besitzt vier Iodatome. Die Dejodasen 1 und 2 entfernen ein Iodatom vom 5′ Kohlenstoff und überführen das wenig aktive T4 in aktives T3.
Normwerte für T4:
Erwachsene: T4: 5,5-11,0 µg/dl oder 77-142 nmol/l
Erwachsene: freies T4 fT4): 0,8-1,8 ng/dl oder 10-23 pmol/l
T3 wirkt aktivierend auf die ATP-verbrauchende Natrium-Kalium-Pumpe in den Zellwänden, was zu einer Steigerung des Energieumsatzes führt. Des Weiteren wirkt T3 auf den Kohlenhydratstoffwechsel. Durch vermehrten Glykogenabbau (Glykogenolyse) in der Leber senkt es den Glykogengehalt und steigert gleichzeitig die lebereigene Glucoseproduktion (Gluconeugenese). Die Empfindlichkeit für Insulin nimmt gleichzeitig ab (diabetogene Wirkung). Vergleichbar wirkt es auch auf den Fettstoffwechsel. T3 mobilisiert Fette aus dem Fettgewebe und wirkt dadurch lipolytisch.
Was ist ein normaler TSH Wert und welche Relevanz hat er?
Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) auch Thyreotropin oder thyreotropes Hormon genannt. Das Thyreotropin ist ein Hormon, das in den basophilen Zellen des Hypophysenvorderlappens produziert wird und stimulierend auf das Wachstum, die Iodaufnahme und die Hormonbildung der Schilddrüse wirkt. Geregelt wird die TSH-Produktion der thyreotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens zum einen von der Schilddrüse über die Konzentration der Schilddrüsenhormone (negative Rückkopplung), zum anderen vom Hypothalamus, einem bestimmten Zwischenhirn-Areal.
Normalwerte: TSH: 0,3–2,5 mU/l
In manchen Laborbefunden finden wir einen oberen Referenzwert von 4,0 mU/l. Die amerikanische Organisation NACB (National Academy of Clinical Biochemistry) schlägt als obere Grenze für den Normbereich 2,5 mU/l vor, da in der dem alten Referenzwert zugrunde liegenden Studie fälschlicherweise Personen mit erhöhtem TSH einbezogen wurden[1].
Obwohl TSH der Standarttest in jedem Labor für die Überprüfung der Schilddrüsenfunktion ist, äußern immer mehr Wissenschaftler Zweifel an der Aussagekraft und den Referenzwerten.
In einer Studie aus 2007 zeigte sich, dass bis zu 30% der Patienten mit einem leicht erhöhten TSH Wert von 3,0 mU/l eine versteckte Autoimmunerkrankung der Schilddrüse haben. Dies ist besonders ausgeprägt bei Frauen, weniger deutlich bei Männern[2].
Das Gegenteil sehen wir bei älteren Menschen. Hier könnte eine isolierte Betrachtung des TSH, fälschlicherweise zu der Diagnose „Hypothyreoiditis“ führen, das THS altersbedingt ansteigt (bis zu 6 mU/l). Ältere Menschen zeigen erhöhte TSH Werte, jedoch normales T3 und T4. In einer Studie aus 2010, fanden die Forscher, dass ältere Personen mit erhöhten Schilddrüsenantiköper-Titer, wenig gebrechlich und allgemein fitter waren, als die Vergleichsgruppe mir normalem Befund[3].
Low-Carb als Therapie bei Schilddrüsenunterfunktion
Was bei der Diskussion um die Schilddrüsenunterfunktion oft nicht deutlich wird, ist, dass es sich bei der Schilddrüsenunterfunktion in einem Großteil der Fälle (bis zu 90%) um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem Antikörper gegen das Gewebe der Schilddrüse entwickelt.
Übermäßige und andauernde Entzündung, spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von chronischen degenerativen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen[4]. Zucker (in jeder Form), Getreide, Pflanzenfette, Stress und Umweltgifte sind die größten Entzündungsfaktoren.
Eine wohl formulierte Low-Carb/High-Fat Ernährung (LCHF) zeigt, sowohl bei der Therapie von Autoimmunerkrankungen allgemein, als auch bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, wie Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow, großes Potential.
/eiweiss-fett-kohlenhydrate-wieviel-darf-ich-essen/
Was beeinflusst die Schilddrüsenfunktion noch?
Stress
Chronischer Stress führt zu einer verminderten Schilddrüsenfunktion. T4 wird dann vermehrt zu rT3 und nicht zu T3 umgewandelt.
Fasten/ Hungern
Längere Fastenphasen sowie chronische Kalorienrestriktion können zu einem massiven Abfall von T3 führen (bis zu 50%). Dies hat zur Folge, dass der Grundumsatz um bis zu 40% reduziert wird. Bei Menschen, die wiederholt Hungern, ist die Schilddrüsenfunktion meist nachhaltig geschädigt. Die Schilddrüsenhormone und der Stoffwechsel bleiben subnormal. Der Körper verbleibt oft noch Jahrelang im „Hunger-Modus“ obwohl wieder angemessene Mengen gegessen werden. Was Gewichtskontrolle beinahe unmöglich macht[5].
Leptinresistenz
Leptinresistenz wird vom Körper als „Hunger-Notfall“ wahrgenommen und entsprechend reagiert. Fetteinlagerung wird gefördert und der Stoffwechsel heruntergefahren[6].
Sport und Training
Ein hohes Trainingsvolumen, vielleicht auch noch kombiniert mit inadäquater Kalorienversorgung, führt zu einer reduzierten Konvertierung von T4 zu T3 und zu einer erhöhten Produktion von rT3. Die Folge sind verlangsamter Stoffwechsel und ein erniedrigter Grundumsatz[7] [8].
Insulinresistenz, Diabetes melitus, Übergewicht und metabolisches Syndrom
Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenerkrankungen bei Menschen mit Typ-2 Diabetes[9]und ein erhöhtes Auftreten bei Menschen mit Übergewicht[10] oder metabolischem Syndrom[11].
Nährstoffmangel
Eisen, Selen und Iod sind essentielle Bausteine für eine optimale Funktion der Schilddrüse. Ein Mangel an einem oder mehreren dieser Mikronährstoffe, beeinflusst die Funktion der Schilddrüse negativ.
Andere Ursachen
Entzündung, Umweltgifte, zu wenig Testosteron, Depression, Schmerz, …
Zusammenfassung
Wir sehen also, eine nicht-autoimmunbedingte Unterfunktion der Schilddrüse kann sehr viele Ursachen haben und ist in den meisten Fällen vermutlich eine Kombination aus mehreren Faktoren. Im Hinblick auf den Zusammenhang zu einer LCHF Ernährung gibt es keine eindeutigen Hinweise. Ärzte, wie Dr. Phinney und Dr. Westman, können eine negative Auswirkung auf die Schilddrüsenfunktion, aus ihrer klinischen Praxis nicht bestätigen. Während andere, dies sehr wohl bestätigen können und teilweise selber erlebt haben.
Die Frage bleibt, ob es tatsächlich einzig und allein an der Menge der Kohlenhydrate liegt, oder vielmehr an einer Kombination an Faktoren, die nur gleichzeitig mit der Ernährungsumstellung auftreten – Ursache und Effekt, sozusagen.
Was man sieht, ist das oft gleichzeitig:
- Zu wenige Kalorien gegessen werden
- Zu viel Training und Stress
- Schlechte Mikronährstoffversorgung durch eine nicht richtig formulierte LCHF Diät
Ganz abgesehen davon, hat jeder Mensch eine andere Kohlenhydrattoleranz, abhängig von seiner Vergangenheit und seiner genetischen Prädisposition.
/wie-viele-kohlenhydrate-darf-ich-essen-so-bestimmst-du-deine-individuelle-kohlenhydrattoleranz/
Wer das Gefühl hat, dass er oder sie mehr Kohlenhydrate in die Ernährung einbauen möchte, sollte dies in erster Linie in Form von viel Gemüse tun. Eine LCHF Ernährung schaut für jeden Menschen anders aus. Sehr aktive Menschen und Athleten können meistens wesentlich mehr Kohlenhydrate, hier auch in Form von weißem Reis oder Kartoffeln, zu sich nehmen als Übergewichtige oder insulinresistente Menschen.
Jeder Mensch ist anders… LCHF kann für den einen bedeuten, dass er/ sie nicht mehr als 20 g Kohlenhydrate essen kann, ein anderer kann 150 g essen, und trotzdem die gleichen positiven Effekte erzielen.
Darum ist das wichtigste, sich selber kennen zu lernen. Die individuelle Kohlenhydrattoleranz herauszufinden und die Ernährung entsprechend anzupassen. Und was heute für dich gut ist, mag in einem Jahr nicht mehr passen. Gewichtverlust, besseres Stressmanagement, verbesserte Insulinsensitivität, all das beeinflusst wie wir auf die Nahrung reagieren.
Darum ist es wichtig sich immer wieder zu beobachten und die Ernährung neu zu bewerten und anzupassen.
Referenzen
[1] Laurence M. Demers, Carole A. Spencer: LMPG: Laboratory Support for the Diagnosis and Monitoring of Thyroid Disease. National Academy of Clinical Biochemistry (USA). 2002. Abgerufen am 5. Januar 2010. – see Section 3.C.Thyrotropin/ Thyroid Stimulating Hormone (TSH) measurement
[2] Spencer, C. A., et al. „National Health and Nutrition Examination Survey III thyroid-stimulating hormone (TSH)-thyroperoxidase antibody relationships demonstrate that TSH upper reference limits may be skewed by occult thyroid dysfunction.“ The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 92.11 (2007): 4236-4240
[3] Wang, George C., et al. „Thyroid autoantibodies are associated with a reduced prevalence of frailty in community-dwelling older women.“ The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 95.3 (2010): 1161-1168.
[4] Amor, Sandra, et al. „Inflammation in neurodegenerative diseases–an update.“ Immunology 142.2 (2014): 151-166
[5] Leibel RL, Jirsch J. Diminished energy requirements in reduced-obese patients. Metabolism 1984;33(2):164-170
[6] Cabanelas, A (A); Lisboa, P C (PC); Moura, E G (EG); Pazos-Moura, Leptin acute modulation of the 5′-deiodinase activities in hypothalamus, pituitary and brown adipose tissue of fed rats. Hormone and metabolic research 2006;38 (8):481-5.
[7] Loucks AB, Heath EM. Induction of low-T3 syndrome in exercising women occurs at the threshold of energy availability. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 1994;266: R817-R823.
[8] Opstad PK, Falch D, Oktedalen O, Fonnum F, Wergeland R. The thyroid function in young men during prolonged exercise and the effect of energy and sleep deprivation. Clinical Endocrinology 1984;[20:65]7-669.
[9] Kadiyala, Raghu, R. Peter, and Onyebuchi E. Okosieme. „Thyroid dysfunction in patients with diabetes: clinical implications and screening strategies.“ International journal of clinical practice 64.8 (2010): 1130-1139.
[10] Ambrosi, Bruno, et al. „Relationship of thyroid function with body mass index and insulin-resistance in euthyroid obese subjects.“ Journal of endocrinological investigation 33.9 (2010): 640-643.
[11] Ruhla, Stephan, et al. „A high normal TSH is associated with the metabolic syndrome.“ Clinical endocrinology 72.5 (2010): 696-701.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 11. Juli 2015 auf foodlinx.de
Photo by Tanja Heffner on Unsplash